Der erste Kriminalfall in der Geschichte
Baustellenatmosphäre, überall stehen noch Materialien, es riecht nach Gips und Holz. Die meisten Datenleitungen sind verlegt, ebenso funktionierte die meiste und wichtigste Elektrik. Ein kleiner Trupp Firmen-Ingenieure ist angereist, um die letzten Arbeiten zu beobachten und notfalls selbst Hand anzulegen. Es ist Dezember und wie üblich kalt und dunkel draußen.
Wir haben uns ein bereits fertiges Büro etwas eingerichtet und das Notwendigste ist schon benutzbar.
Das Wintertestzentrum muss natürlich eine stabile Datenleitung nach Deutschland haben und die Gerätschaften hierzu sind zwar alle da, aber weder zusammengebaut, noch angeschlossen, noch funktional. Viel Arbeit. Die Jungs vom Datensupport quälen verbissen Tastaturen, schimpfen, aber freuen sich auch, wenn etwas geht.
Wir verlassen gegen zehn das Gelände, überzeugen den Pizzabäcker, noch was Kaubares in den Ofen zu schieben und so trollen wir uns gegen zwölf heim. Am nächsten Morgen fällt uns auf, dass einer gefehlt hat und beim Frühstück erreicht uns die Kunde: Einbruch am neuen Standort. Wir eilen hin und finden den Chef vom Dienstleister grinsend hinterm Rezeptionstresen auf uns wartend. Jaahh, mmmh da war ein aufgebrochenes Schloss ….
Zeitrücksprung … Vier Uhr nachts, einer unserer schlaflosen Schweden kam am Tor vorbei und bemerkte, dass das Vorhängeschloss am äußeren Zauntor aufgesägt ist, sonst aber nichts Verdächtiges bemerkbar ist. Da die Polizei nachts auch schläft, lässt er sich mit der Meldung Zeit bis zum Morgen.
Dienstleisterscheff erzählt:
Harry vom Datensupport steckt bis zur Brust im Datendschungel und kämpft verbissen mit den Bits. Die Zeit rennt und so merkt er gegen zwei Uhr morgens, dass er Hunger hat und alleine ist. Er löscht das in Schweden immer leuchtende (das Wort „brennen“ ist verboten, wegen Verwechslungsgefahr.) Licht im Gebäude, setzt sich in sein Auto, aber die Heimfahrt endet abrupt am verschlossenen Tor. Harry möchte zurück und telefonieren, aber die Türe ist hinter ihm ins Schloss gefallen. Eine Inspektionstour durch die unverschlossenen Baubarracken bring Erlösung: Eine Flex und Verlängerungskabel – 100 Meter? – zu kurz. Eine Eisensäge! Und so hat er sich ans Werk gemacht, auszubrechen.
2004: Der Kreisverkehr und…
Wir haben ja einige spezielle Strecken auf dem Eis präpariert. Kreise, Dynamikflächen, Handlingkurse, Geraden. Generell sind die Strecken so angeordnet und mit Rückfahrspuren versehen, dass es nur Einbahnverkehr gibt. Wegen der „grenzenlosen Dummheit“ (Einsteinsches Naturgesetz). So gibt es einen Zubringer vom Land zu den Strecken und die Zufahrten säumen die große Piste rechts und links. Bei Schneegestöber, Dunkelheit oder Nebel weiß nur der eingeeiste Ingenieur, wo er grade ist und wo’s nachhause geht.
Wenn nun Kunden oder eigene Ganzobere kommen, nur einen Tag hier sind, ist es nicht zu erwarten, dass die sich gleich auskennen sondern schon mal hilfeheischend im weißgesäumten Nirvana stehen. Zumal die Mobileanbindung (Händie!) noch immer zu wünschen übrig lässt. So haben wir ans Ende der langen Piste einen großen Kreisverkehr gebaut, von dem aus alle Strecken zu erreichen sind. Der Kreis ist am Ende von etwa einen Kilometer Gerade. Freies Blasen für Ingenieure. Pedal to the Metal. Die Wette, dass es drei Wochen dauert, bis der erste durchpflügt, hab ich glatt verloren. In der ersten Nacht hat einer “ ich bin stolz drauf, der Erste gewesen zu sein!“ das Innere des Kreises als Streckenerweiterung gebraucht, weil ihm beim Bremsen die Straße ausging.
… wir sind dreihundert
Jeder kennt ja jeden und notwendige Telefonnummern sind auch bekannt. So erreicht Harry eines Nachmittags ein Telefonat, dass dringend Hilfe benötigt wird. Mann steht auf dem alten „Firma“-Gelände und hat Angst ums getarnte Blech.
Rückblick: Kollege vom Stern ist mit einem Erlkönig unterwegs und wird zur Mittagszeit beim Heimfahren von unserem (neuen) Standort von einem Car Spy bedrängt. Richtig heftig, fast mechanisch mit Ausbremsen und versuchter Straßenblockade. Der Kollege rettet sich auf das Gelände unseres alten Standortes, der grade leer steht und versteckt sein getarntes Fahrzeug hinter den Hallen. Es war die erstbeste Gelegenheit noch vor Erreichen des heimischen Horts. Der Car Spy traut sich nicht auf das Gelände, denn er weiß, das wäre Hausfriedensbruch. Also versucht er ihn lautstark verbal zu überzeugen, mit seinem Fahrzeug rauszukommen. Da irgendwann erfolgt der telefonische Hilferuf.
Harry setzt sich gleich in Bewegung, lässt sich die Sache derweil am Telefon erklären, erreicht bald den am Tor wartenden Spy und stellt ihn freundlichst zur Rede. Er erklärt ihm auch, dass er sich für die vorangegangenen Manöver auf der Straße bitteschön zu entschuldigen hätte. Der besternte Kollege kommt vorsichtig aus der Deckung gelaufen und die drei reden vor dem Tor miteinander, die Sache kühlt ab, Verständnis macht sich breit. Harry gibt dem Car Spy aber noch eins mit auf den Weg: „Junge, merke Dir, Du bist alleine, wir sind dreihundert.“
©Jürgen Zechmann