Krawatten (kurzer gedanklicher Ausflug heim)
So eine Fahrzeugausrüstung mit Messmitteln nahm schon eine oder zwei Wochen Zeit in Anspruch. Unsere Werkstatt zuhause war personell so dünn besetzt, dass die Ingenieure schon mal mit anfassen mussten. So war natürlich auch das modische Outfit entsprechend angepasst.
Großer Besuch angesagt. oberster Scheff des Bereiches will sich einen Überblick über die ausgelagerte Abteilung, hundert Kilometer von der Mutter entfernt, verschaffen. Er – zwei Meter hoch, ein Meter breit, im dunklen Zweireiher mit Seidenkrawatte steht im Labor vom Fahrversuch. Ingenieure sitzen brav an ihren Scheibtischen und schreiben Papier voll. Im Räuberzivil, Jeans, Turnschuhe, gemusterte Hemden, Ärmel hochgekrempelt, nirgends ein Jackett oder Krawatte zu erspähen. Er fragt leise unseren Gruppenleiter nach der Kleiderordnung, der lädt ihn darauf spontan, mit freundschaftlicher Geste ein, mitzukommen. Beim Verlassen des Büros funkt er uns mit Gesten und stummen Worten eine Strategie zu …..
Ortswechsel, halbe Stunde später. Werkstatt, am Pförtner vorbei, über den Parkplatz, über die Straße in einer Werkhalle.
Solange die zwei noch durch einige weitere Büros gegangen sind, sind wir – sehr übersichtlich – zwei – in die Werkstatt geflitzt, haben uns die Arme in die übelsten Tiefen des Motorraumes eines Fahrzeugs gesteckt, nicht ohne zuvor die Hände in angepasster Kriegsbemalung zu ölen.
…. Die große Hallentür geht auf, der Besucher mit Führung betritt die Werkstatt und schaut erstaunt Ingenieuren zu, die Hydrauliken wechseln oder Messaufnehmer durchs Auto fieseln.
Die Krawattenpflicht wird spontan aufgehoben. 1978!!
So, das musste jetzt sein. Nun zur Ausrüstung.“
Drücke messen
Da wir wie schon mal wie beschrieben Drücke im Bremssystem messen wollten, mussten die Druckaufnehmer ja irgendwie in die Bremsleitung kommen. So hatten wir uns Verschraubungen besorgt, die es gestatteten, die Druckaufnehmer so zu platzieren, dass wir Bremsdrücke da messen konnten, wo sie letzlich wirken – in den Bremsleitungen, an den Bremszangen. Da wiederum die Druckaufnehmer nicht mit den Verschraubungen zusammenpassten – wär ja ’n Wunder gewesen – musste ein weiterer Adapter – ein Minimess – dazwischen. Das war eine Kupplung , wie heute am Gartenschlauch nur kleiner und hinten der Aufnehmer dran. Das Ganze war dann etwa sieben oder acht Zentimeter lang und knapp zwei Zentimeter im Durchmesser. Die Sicherung war eine Spange, die wiederum mit einem Kabelbinder gesichert war. Jahaa, Hosenträger und Gürtel gegen aufregende Erlebnisse beim Bremsen. Wenn Du nie ins Leere getreten hast beim Bremsen, kannst Du hier nicht mitfühlen. Da bekommst Du ’nen Adrenalinschub der Spitzenklasse, wenn das Bremspedal rumhängt wie ein Lämmerschwanz und dir die Strasse ausgeht.“
Die Herausforderung war, die Verschraubungen mit den Druckaufnehmern zwischen Bremsschlauch und Zange so anzubauen, dass sie das Lenken der Vorderräder und Einfedern überstanden haben. Außerdem muss das Kabel so verlegt werden, dass es das Geschüttle und Gelenke auch mitgemacht hat. Zudem wurde es da unten ziemlich warm beim Bremsen.
Mal ein kleines Beispiel: Wenn man ein Fahrzeug von rund einer Tonne mit der maximal möglichen Verzögerung auf Asphalt abbremst, kommt man auf eine Leistung von rund 500 PS. Und die Wärme muss über die Bremsscheiben zur Welt zurück. Umwandlung der Bewegungsenergie in Erderwärmung. Hauptsatz des Erhalts der Energie – vom alten Robert Mayer selig. Das heißt, den Sprit, den wir vorher vorher zum Beschleunigen verbraten haben, haben wir nun als lupenreine Wärme* zurück. Direkt neben unseren Druckaufnehmern.
Weiter zum Drückemessen:
Wenn wir in einem Zeitraster von Millisekunden aufzeichneten (1 cm= 10 Millisekunden), konnte man schon den Druckverlauf zwischen Hauptbremszylinder und Bremszange sehen. Das dauert alles seine Zeit, wenn auch wenig, aber es dauert. Da wir auch – also gut: die Ventile in der Hydraulikeinheit – Mann seid ihr penibel – die Drücke schnell modulierten, gab es neben den Druckverläufen auch Schwingungen, das alles wollten wir sehen. Wir konnten ja Drücke in Auflösung 1 bar (1 cm = 10bar) aufzeichnen.
Mal wieder nebenbei: bei ca 100 bar Bremsdruck haben die Räder auf Asphalt gebremst blockiert.
Eine Bremsanlage ist mit Bremsflüssigkeit gefüllt, das Zeug , von dem keiner weiß, was drin ist, und nur mit Bremsflüssigkeit. Sozusagen ein hydraulisches Gestänge. Da durfte keine Luft dazwischen sein, sonst wurde die Bremse „weich“ , also musste entlüftet werden. Das ging so weit, dass wir letztendlich die Druckaufnehmer mir einer Spritze und feiner Nadel mit Flüssigkeit „impfen“ mussten. Nebenbei, nach dem dritten Einkauf hat uns die Apothekerin geglaubt, zu was wir die Dinger brauchten. Der Verschleiß war nämlich hoch, weil die Bremsbrühe alles angefressen hat, außer Metall und Glas.
Und zu guter Letzt: Das Manometer mit flexiblem Rohr vom Hauptzylinder bis in den Innenraum. Manchmal zum Messaufbau, manchmal lag es mit einem Lappen bis auf die Anzeige eingewickelt vor dem Tacho, oder es war außen am Scheibenwischer befestigt.
Wenn man nämlich nicht alle Luft aus dem System hatte, konnte man das Bremspedal bis zum Boden durchtreten und es hat nicht voll gebremst, man musste ja erst die Luft komprimieren.
Die Entlüfterei hab ich ja schon mal erklärt. Das eben Beschriebene kam ja noch dazu.
Wenn sich eine Verschraubung oder Hydraulik mal nicht „entlüft-freundlich“ einbauen ließ, haben wir mit „Engineering“ entlüftet. Fahrzeug auf der Hebebühne nur vorne angehoben oder sind unter der Brücke auf die gepflasterte Böschung gefahren, um das Fahrzeug in Schräglage zu bringen, damit „die Luft rausging“. Aus diesen Anstrengungen wuchs auch die Erfahrung für die spätere Serienfertigung, wo die Bremsanlage nach dem Einbau am Band auch mit Flüssigkeit gefüllt werden musste. So erfand man nebenbei die „Vakuumbefüllung.“ Ganz einfach: Alle Luft raus und Bremsbrühe rein – fertig.“ Na ja …. „
*Zu der Erwärmung der Bremsscheiben beim Bremsen muss noch einer: Da auch der Zigarettenanzünder als Stromversorgung für irgendwelche Messgeräte benötigt wurde, war das Fahrzeug natürlich seiner Komfortausrüstung beraubt. Wir – damals als starke Raucher – waren natürlich inschinöös erfinderisch. Feuerzeug ist aufm Schreibtisch liegengeblieben. Wir sind draussen beim Testen, und die Seele braucht Beruhigung. So, beim Bremsscheibentemperaturmessen kommen schon mal 400, 500 Grad an der Bremsscheibe zusammen, bei ein paarmal aus 100 oder 150km/h auf Null runtergebremst. Wenn man dann schnell ist, die Kippe durch die Felge steckt und an die heisse Bremsscheibe hält, fängt die an zu glimmen. Nun muss man nur noch schnell dran ziehen und du brauchst keinen Zigarettenanzünder … is zwar n Scheiss Aufwand, aber es raucht. Man sollte tunlichst auch vor der heissen Felge Respekt haben. Diese Respektlosigkeit zeigt sich als Brandblasen an der Gosche.“
©Jürgen Zechmann