Streng geheim! Kapitel 4 – Ab durch die Mitte

Weiter nach Norden, Sundsvall, wenn das Wetter so bleibt, können wir durchfahren bis Umeå. Dazwischen kennen wir kein Hotel. Nun heißt es, eben rechtzeitig an einem Hotel zu sein und um Quartier zu fragen. ESSO-Motor Hotels gibt es an der E4. Das sind einfache Hotels für Durchreisende und nahe der E4, man findet sie recht gut, muss nur dem roten Zeichen auf dem Dach folgen. Und was zu essen gibt es rund um die Uhr. Mit Glück ist die Bedienung diesmal freundlich. Aber nachmittags um zwei Uhr schon anhalten, da geht noch was.

Also, erst Mittagessen, dann weiterschaun. In einem dieser Esso-Hotels gibt es einen Schnellfress, zwei“mann“geführt. An der Theke ist eine riesige Tafel mit diversen Speisen und rote Knöpfe daneben. Aha – für die Bestellung. Jeder drückt ein Knöpfchen, wir gehen zur Kasse, sammeln noch was zu Trinken ein und stehen einem Schwall einheimischer Worte gegenüber und zeigen gehobenes Unverständnis. Die Maus hinter der Kasse versteht, ohne uns anzusehen, wiederholt sie alles auf Englisch. Na also, geht doch. Wir sitzen am Tisch und warten auf unser Essen. Aus einer Klappe, was sich als Ausgabe der Küche entpuppt, kräht es unverständige Worte. Nachdem wir alleine sind, ist die Entscheidung einfach. Unser Essen.

Von Sundsvall aus haben wir das Hotel in Umea gebucht: Das Mädel an der Rezeption fragt nach, ob wir das wirklich wollen, in Schwenglisch : 30 Meilen? 30 Meilen jahhaa – aber die Schwedische Meile sind 10 Kilometer, muss man wissen, haben wir dann gelernt. Beschluss, give pedal! Nach einer Stunde wissen wir, warum uns das Mädel gefragt hat, das war wohl auch eine der unverständlichen Erklärungen, ja klar, „vädret“ heißt Wetter und „snö“ heißt Schnee, und „många“ heißt viel und „inte“ heisst nicht – und das haben wir jetzt. So ziemlich dasselbe wie gestern. Gleiche Procedere mit den Wischern und dem Wasser. Gegen neun kommen wir an, ziemlich fertig, was zu essen nach geübtem Muster und ins Bett. Diesmal war es ein Italiener, ein Schwedischer.

Nächster Morgen, bedeckt und kalt, die Autos sind unter Schnee vergraben. Ausgraben, reinsetzen, Schlüssel drehen, der Scheibenwischer jammert, würgt und der Wischarm kommt mit einem Geräusch wie Sand auf Glas aus einer Barriere aus Eis alleine hoch. Der Rest bleibt verschwunden.
Logisch, gestern haben wir das Auto abgestellt, den Wischer aber nicht. Und der ist beim Schlüsseldrehen wieder erwacht – Sch… – und jetzt? Unser für solche Fälle mitgebrachter Monteur kommt mit Hammer und Schraubenzieher aus der Deckung, drängt uns weg und grummelt was von, „werd es dir zeigen“ und „Sch… schmischereientwicklung“, keine Ahnung aber der Wischer liegt frei. Die Scheibe hat es überlebt, nur der Wischgummi hat ein paar Kampfspuren. Gibt Eisstreifen auf der Scheibe, klar, genau im Blickfeld, wo auch sonst und zwei Zentimeter breit.
Endlich wieder auf der E4! Ich liebe diese Wegweiser, zum nächsten Dorf 200 km, nicht wie bei uns einstellig, nein, richtig Weg dazwischen. Wenn du 110 fährst, weißt du, dass du in zwei Stunden 220 km weiter bist. Passt ziemlich gut.

An die Trucks haben wir uns gewöhnt und das Überholen klappt auch mittlerweile ohne größeren Adrenalinzusatz. Wir haben gelernt, wenn man nach links zieht und das Fernlicht anmacht, geht der Dicke vom Gas und macht Platz, was er kann. Geht auch bei Gegenverkehr, wenn die Straße breit ist. Dann rückt der Entgegenkommende auch zu Seite, ohne Lichtgehupe und Theater – schwedisch relaxed. Ach ja, die Geschwindigkeitsbegrenzung ist hier bei 110km/h, und von den Strafen beim Erwischtwerden, wenn’s mal wieder etwas schneller war, haben wir keine Vorstellung.
Lichthupe im Außenspiegel, die Straße ist mittlerweile erfrorener Matsch mit Schneekrönchen. Ein alter Saab im Rückspiegel, mit riesigem Hänger schert nach links aus, als ob es Schienen gibt, zieht vorbei und schert ohne Zucken und Zappeln wieder nach rechts ein. Eindrucksvoll, wenn wir bedenken, was wir am Lenker drehen, dem Schwaben zu zeigen, wo wir hinwollen. Der Bayer tut sich auch schwer, von dem Sportler ganz zu schweigen, aber der hat ja kein Handikap hinten dran. Schau mal lieber Hänger, der ist gut erzogen und weiß, dass man hinten bleibt und nicht immer rum zickt.
Der Bus ist mit seinem Hänger so schwer, dass er den Matsch bis auf den Asphalt durchdrückt. Außerdem hat er unsere Spuren. Feigling. Fahr du mal vorneweg!
Eingeschlafene Beine, weiter oben auch und schmerzende Rücken begleiten uns. Wir schimpfen mittlerweile auch auf Sitzkonstrukteure. Überall Krümel, es juckt. Gottseidank sind die Kekse alle. Volle Konzentration nach vorne.

Tanken. Felix, der Schrauber stellt fest, dass Bier hier Öl heißt und so kaufen wir einen Sixpack, mit Quittung bitte zum Abrechnen – ja, die Autos brauchen bei der Kälte jede Menge Öl.

Die Aufregungen legen sich, alles wird Normalität und so kommen wir in Umeå an. Vor uns geht es leicht bergab, die Stadt liegt vor uns wie ein Stadion, Modelleisenbahnromantik, menschenleer, autoleer. Kollege fährt, der Hänger drängt und ist nicht zu bändigen.
„Wir haben 70 drauf und ich darf nicht mal den Fuß vom Gas nehmen – diese Sch.. ssKarre.“
„Bleib drauf, da unten kommt es flach.“
„Aber erst hinter dem Kreisverkehr. Mit 70 in den Kreisel?“
„Draufbleiben, keine Sau unterwegs, give pedal!“
Beleuchtete Fenster an schicken Häuschen schauen uns zu.
“Was mach ich mit dem Kreis?“
„Das entscheiden wir, wenn wir da sind.“
„Mann ist der groß.“
Unsere Unterhaltung wird dramatisch – noch zweihundert Meter – lieber Gott, mach ’n Kurzschluss in der Straßenbeleuchtung – die Entscheidung steht an und zwar sofort, der Kreisel ist mit einem Relief von Schnee bedeckt, das Bewuchs drunter vermuten lässt – es ist ein bisschen schlüpfrig, lenken geht nicht viel, Kurve schneiden ja, aber dann – der Kreisel ist zu …
“ Durch!“
„Wie, durch? – Mittendurch! HÄ ??“
„Neue Spur anlegen, temporär wenigstens und in 5 Sekunden sind wir wieder weg.“
Die Dramatik legt sich, das Adrenalin wirkt.
Unter dem Schnee waren kniehoch Blumen. … Rosen sind robust. Einige winken noch nach.

Auf dem Hotelparkplatz kommt Felix, den wir schon vermisst hatten, dazu und sagt aufgewühlt:
„Habt ihr das gesehen? In Umeå, gleich am Anfang, da muss einer mit Schmackes durch den Kreisel gebrettert sein.“
„Als wir da ankamen war noch nichts … „

Essen, ein Bier, ein Bett. Die Nachtruhe ist angenehm. Das schwedische Essen ist viel ölhaltiger oder fettiger und das macht sich bemerkbar. Außerdem kommt der Film vom Kreisel immer wieder. Schlechtes Gewissen? Vielleicht.

Wieder etwas Zeit:
Wir haben verschiedene Einstellungen von Hydrauliken dabei, können 2 mm kleine Schrauben, die 0,3 mm nochkleinere Bohrungen haben, tauschen, gesamte Einheiten auseinandernehmen und richtig wieder zusammenbauen. Damit wir Fehler vor dem Einbau ins Fahrzeug finden, haben wir einen zusammengepuzzelten Prüfstand dabei. Eine Pumpe, die mit Fahrzeugbatterie läuft und jede Menge Bremsflüssigkeit, Verschraubungen, Rohr, Ventile und Dichtungen.

Nächster Morgen: … und täglich grüßt das Murmeltier. Aber den Schweibenwischer haben wir ausgetrickst. Alle weggeklappt, Darwin in 10 Stunden! Muss ja auch sein, sonst überlebst Du das nicht.
Die Verkehrslage hat sich dramatisch verändert. Wir fahren von der Küste weg nach Nord-Westen ins Landesinnere. In zwei Stunden Fahrt kommt uns einer entgegen.
Hoffentlich kommt hier auch „Arjeplog“ … oder wenigstens „Das Ende“ oder „Der Anfang“. Wenn Schilder dastehen, ist wenigstens noch Leben. Telefondrähte am Wegesrand beweisen ein Telefon am Ende der Leitung. Und wenn es noch Leitungen gibt, ist es noch nicht das Ende. Die Kälte nimmt zu – gefühlt. Der Heizungsregler zeigt 28 soll, aber 28 fühlen sich besser an. Die Seitenscheiben frieren langsam zu, hinten ist schon lange dicht. Irgendwie packt das die Heizung nicht, ist am Ende. Durchhalten, Sitzheizung an (Testsitz), dann ist´s wenigstens von hinten warm. Die Frontscheibe hat einen Eisrahmen wie ein Muster von Omas Klöppeldecke. Kleine Schneegeister huschen kreiselnd über die Straße, aufgescheucht durch den Fahrwind des Fahrzeugs vor uns. Es ist schön ihnen zuzusehen, da sie nimmermüde immer neue Muster kreieren, eine eigene Choreographie, aus dem Nichts ein schneller Tanz, um wieder zu verschwinden und an anderer Stelle neu geboren zu werden. Kurzes Schneegeisterleben.

Ein Ortsschild – Hurra -! Einige hundert Meter weiter ein Haus rechts, drei links, Kurve, die Erwartung steigt – und bricht am Ortsendeschild in sich zusammen. Drei Häuser , ein Dorf, aber im Shellatlas ein kleiner Punkt wert. Keine Menschenseele, aber in den Fenstern erfreuliche Lämpchen. Wieder Zuckerbäckeratmosphäre. Wo sind die Menschen dazu?

Den zweiten, den wir sehen, ist ein alter Saab. Kommt aus einer Einfahrt raus und setzt sich ungefähr einen Kilometer vor uns. Will der hier parken? Hat der kein Gas? Er schleicht sich in aller Gemütlichkeit vor uns her. Kleine blaue Wölkchen kommen aus dem Auspuff. Wieder was zum Lernen: Hier gehen die Uhren anders; Uhren? Hier gibt es keine Zeit. Und vor allem keine Eile. Der Winter ist lang genug. Und schon wieder dunkel. Mittags um vier oder ist es schon fünf, ach ja, Darwin in 10 Minuten: „zeitlos“. Wir überholen, der Fahrer dick eingemummelt in Pelz, zwei schwarze Sehschlitze unter der Pelzkappe lassen Augen vermuten, die uns nicht sehen oder sehen wollen – wir gehören nicht hier her. Keine Reaktion, alles eingefroren.

Zwei Meilen weiter entwickelt sich das Fahrzeug zur Sauna. Scheiben sind frei, wir drehen die Heizung zurück. Wir erfahren später, es ist wieder warm draußen, minus 10.

Ortsschild Arjeplog, wieder Gefälle, wieder die 70 … aber Erlösung, kein Kreisel!

Logisch, es ist noch dunkler. Schon geraume Zeit. Die Straßenbeleuchtung wirkt irgendwie belebend, die Schenkel wachen wieder auf, und das was nach oben hin dranhängt auch. Schmerzhaft aber wach. Man begrüßt jeden einzelnen Muskel persönlich. Alle Mann an Bord.
Der Hauptstraße geht mittendurch am Ort vorbei, Schnellsightseeing und etwas außerhalb geht der Abzweig links ab zum Hotel auf dem Berg – sagt wenigstens das Schild.

Zur Erinnerung, sonst versteht man das folgende nicht: Unsere Autos haben die Wunderwaffe gegen blockierende Räder beim Bremsen – bis auf die Hänger …

Ich lege vor der Kreuzung den Fuß auf die Bremse und es br.. br..br..br..br..br..br regelt vor sich hin, ABS werkelt angestrengt, aber es gibt keine Verzögerung. Wattnjetztlos?? Nur der Hänger macht sich vorsichtig bemerkbar. Die Kreuzung zieht links an uns majestätisch , fast grüßend vorbei, ich brech mit fast das Bein aufm Bremspedal, es geht locker voran und hinten hupt es drängend. Der Blick in den Rückspiegel lässt den Bremsfuß direkt vom Pedal fallen. Die großen Augen des Kollegen signalisieren: Bitteee nicht kurz vorm Ziel. Aber es hat gereicht. Stirn entschweissen. Der Schwede hinter uns zieht locker nach links und biegt ab. Wir lernen mit Exempel: Schwedische Autos haben Reifen mit Spikes. Und schwedische Straßen sind vereist, auch wenn es trocken aussieht. Wir haben seit Heidelberg auch nicht richtig gebremst, warum auch, nicht mal vor Kreiseln.
©Jürgen Zechmann