Streng geheim! Kapitel 21 – Aufladen… Abladen…

Schwere Jungs

Es gab ja noch eine Fraktion der „Bierkutscher“ ( erklär‘ ich später, wie‘s dazu kam), heißt ABS für Nutzfahrzeuge. Da kommen Fahrzeuge jenseits der Gewichtsklasse der 20 Tonnen. Und diese 20 Tonnen sollte das Eis auch tragen, wenn man damit darauf fährt. Also kamen diese Jungs mit ihren Schwergewichten erst Anfang März nach Norden, wenn das Eis genügend angewachsen war.
Da ich derzeit an einem futuristischen Bremssystem arbeitete, das noch viele Unsicherheiten barg, wurden diese Fahrzeuge auf die Ladeflächen verfrachtet und per LKW transportiert.

Anfang der 80er fuhren wir dann auch nicht mehr selbst die Autos hoch, sie kamen per LKW – wenn sie dann auf der Ladefläche waren.

Aufladen …

Es gab einen Sattelzug, einen Dreiachser und einen Bus, dazu drei Versuchsträger (ja, neues Wort, landläufig: Testfahrzeug) . Einen kleinen Weiß-Blauen, einen dicken Stern und einen „Käfer“ der Nachfolgegeneration.

Gemessen waren, in welcher Konstellation auch immer, alle zu lang für die angebotenen Ladeflächen. Engineering der besonderen Art: Wir heben den Wolfsburger vorne hoch und schieben den Stern drunter. Verrammeln das Ganze gut mit Vierkantholz vom Stoffeingang und fahren los.
Na ja, aus heutiger Sicht gesehen. Aber da gab es noch ein paar kleine Fragen zu beantworten. Wie bekommt man satte ein oder zwei Tonnen Blech mit Rädern auf die Ladefläche hoch. Jaja, Schlauberger. Rampe gab‘s am Standort nicht und lange Schienen zum Drauffahren auch nicht und – vor allem – es durfte nichts kosten und sollte am Standort passieren. Ausschwärmen, investigieren. In der Zentralwerkstatt gibt es eine Hebebühne für den TÜV, da kann man das Auto drauffahren, hochfahren und wenn man dann mit dem LKW rückwärts — Waaas??? – Mit meiner Hebebühne? Nie ! , wenn der runterfällt, ich übernehm da nicht die Haftung.
Dieser letzte Satzteil bestärkte uns, dass wir es zwar dürften, aber mit Haftungsausschluss des Zentralwerkstattleiters. Und weil wir Montags abfahren wollten und die LKWs noch bis Freitag zum Arbeiten gebraucht würden, blieben uns ja noch zwei Tage bis Montag .
Es war dann Samstag und der Wolfsburger stand schon rücklings nah am Fahrerhaus auf der Pritsche, die Hinterräder mit Holzkeilen verrammelt. Nun geht es ans Hochheben. Engineering der Sonderklasse. Wenn man mit dem ganzen Gefährt nun beim Stoffeingang unter den Kran fahren könnte, die Plane vom LKW etwas öffnet … „Der Kran kann 5 Tonnen!!“ „ Passt der Truck drunter?“ „Locker!“. Wie gut, dass man Freunde beim Werkschutz hat, die erstens nicht petzen und zweitens die Wachtour besonderen Bedürfnissen anpassen können. Balken, Nägel, Werkzeug, alles da und in einer Stunde hängt das Teil mit der Motorhaube unter dem Spriegel und drunter hat‘s Platz für den Dicken.
Also mit den Balken alleine war‘s nicht getan, es mussten noch Stützen und Streben von einem Schwerlastregal aus dem Stoffeingang dran glauben, so gewinnen Teile des Regals eine Freifahrt gen Norden – „die merken das eh erst am Montag, wenn überhaupt!“ und wir sind dann weg.
Mal nebenbei: Wer denkt bei einer so reifen Leistung ans Abladen? Siehste. Wieder Engineering, aber das dann am Donnerstag in Arjeplog.

Wieder Zeit zum Erklären.
Spritbeschaffung. (Beschaffung, erklärte mir mal ein hoher Scheff, klingt so illegal)
Dann halt Spritversorgung.
Es gab in den 70ern in Arjeplog zwei oder drei Tankstellen. Aber Lennard von der Muschel war der einzige, der auf Anfrage spontan Benzin auf Kredit vergab. Und das ging so:
Am Anfang der Wintersaison hat man bei Lennard Listen mit den Fahrzeugnummern angelegt und dann nur die gebunkerte Menge, die Sorte eingetragen, unterschrieben. Meist hat er das während des Tankens schon selbst gemacht.
Da bei tiefen Temperaturen die automatische Abschaltung des Rüssels nicht zuverlässig funktioniert, hat er die Verriegelung an der Zapfpistole abgebaut. So musste man bei tiieeefen Temperaturen mit gedrücktem „Abzug“ warten, bis der Tank voll und der Finger angefroren war. Handschuh – Schlauberger – ging nicht, weil der Ring um den Abzug zu klein für Finger mit Handschuh war. Findige Ingenieure klemmen dann den Fahrzeugschlüssel, der seinerzeit noch Schlüsselform und einen metallischen Bart hatte, so in den Abzug, dass dieser selbst hielt, Lennards Abschaltschutz ingeniös unterlaufen und so konnte man sich getrost die Hände in den Hosentaschen wärmen.

Es ist wieder mal sooo kalllt. Knappe 30 unter. Du stehst neben dem Rüssel und trippelst von einem Fuß auf den anderen, weil sich die Kälte durch die Sohlen frisst und erwartest das Gurgeln aus dem Tank, das sagt, er hätte den Kanal gleich voll. Lennard erscheint relaxt im Hemd in der Türe und flötet: „werry naiss wesserr today – no Moskitos“

Sein Geld bekam er dann am Ende der Saison, wo dann ein Scheffscheff mit nem Koffer vorbeikam.
Irgendwann in den späten 80ern oder jungen 90ern war dann plötzlich die Tanke weg. Lennard sagte uns, er hätte genug Sprit verkauft, er kann jetzt tun, was ihm Spaß macht.

Die LKWs kommen in Arjeplog an und wir fragen natürlich sofort, nach dem Befinden der Ladung. „Meint ihr, ich schau da unter die Plane und fahr dann mit schlechtem Gewissen und Schweiß auf der Stirn um jedes Schlagloch rum, bloß weil da hinten … Nööö, es reicht noch, wenn wir JETZT nachschauen.“ Und es hat funktioniert, alles heile. Noch, denn jetzt kommt das

Abladen

Zunächst haben wir das „beigeladene“ Material vor der Garage abgeladen. Es waren auch Gummischläuche dabei, die das Abgas beim Laufenlassen im Standgas aus der Garage leiten sollten. Auch waren die Pneumatikventile der Trucks ab und an eingefroren und dann ging gar nix. So haben wir die Ventile mit den heißen Abgasen aufgetaut und hierzu die Schläuche vom Auspuff aus verlegt. Nun wurde der erste Schlauch vom Truck runtergeworfen, der dann beim Aufprall in tausend – na ja, dann eben bloß achthundert – Teile zerbröselte. Kalt halt.
Für die Fahrzeuge haben wir dann bei Lennard nachgeschaut, die Hebebühne ginge zwar, aber man kommt mit dem Truck nicht ran, weil eine Zapfsäule und ein Rosenbeet im Weg ist und die Halle für den Truck zu niedrig, aber er zeigt uns eine Rampe. Arjeplog ist gar nicht so außerirdisch, die haben hier Sachen, die gibt‘s Zuhause in der Firma nicht. Aber die Zufahrt zu der Naturrampe ist abenteuerlich. Sie ist am Bauhof der Gemeinde neben der Einfahrt und das ist – im Sommer besehen – ein Feldweg direkt neben dem Hornavan. Wenn man also bequem den Truck vor die Rampe steuern wollte, musste man mit einem Vorderrad der Zugmaschine im See stehen, das ganze Gefährt steht dann quer zum Weg. Oder man nutzte nur den vorhandenen Platz und erkaufte sich damit einen Spalt zwischen Rampe und Ladefläche von einem halben bis dreiviertel Meter, der überbrückt werden wollte. Außerdem ist sie gut 30 cm höher als die Ladefläche – und schief. Sie ist aus aufgeschichteten oder besser geschütteten Felsbrocken und Schotter – gebaut? – Wahrscheinlich war es mal eine Wegbegrenzung und jemand hat entdeckt, dass auch abladen geht. Engineering der gehobenen Klasse. Aber wenn wir schon wieder improvisieren, dann improvisieren wir auch das Ablassen des „Käfers“ gleich mit.
Felix‘ Wagenheber, verschieden lange Balken und dann Stück für Stück und viel Mut. Immer sprungbereit, falls die Erdanziehung wieder mal muckt.

Einige Stunden später, alles geglückt. Zum Rücktransport überlegen wir uns was.

©Jürgen Zechmann

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