Streng geheim! Kapitel 2 – Eine Nacht auf Henriette

Montagmorgen acht Uhr. Start, kurze Absprache, wo man sich zum Mittag wieder mal trifft und los geht es.

Wir sind zu fünft quetschen uns in die vier Fahrzeuge. Der einzige Luxus ist der Beifahrer, mit dem man reden kann. Aber auch nur im Benz oder Bus, der Bayer und der Sportler sind voll.

Wir haben für alles Ersatz mit, nicht nur die Messausrüstung, sondern auch, heute sagt man Computer dazu, Teile so groß wie ein Koffer und ebenso schwer. Kistenweise Schrauben, Hydraulikteile, Dichtungen, Leitungen und Schläuche. Schraubstock und so alles an Werkzeug, das man braucht. Die Ablage zwischen den Sitzen sieht aus wie eine Auslage einer Keksfabrik. Essen und Trinken wird die nächsten zweitausend Kilometer im Fahren eingenommen.

Zwei  Fahrzeuge haben übrigens noch Hänger – auch voll bis unter die Rinne. Nur für den Porsche gab´s keine Anhängerkupplung. Der dicke Benz darf 2 Tonnen ziehen und das muss er dann auch. Der Bus ist zwar etwas schwach auf der Kurbelwelle, muss aber den anderen Hänger zeihen. Nur die Auflaufbremse des Hängers vom Benz macht nach der dritten Reparatur immer noch Ärger. Sanft abbremsen ist nicht im Repertoire. Rumms – ich bin auch noch da, aber wir wollen ja nicht bremsen, sondern fahren. Schaun mer mal.

Zur Erinnerung – oder hab ich das noch nicht gesagt -? Draußen ist es 1977! Telefon gibt’s in gelben Häuschen aufm Marktplatz. Für zwei Zehner (Pfennige, die damalige Währung ) gab´s das Gespräch, vorausgesetzt Dein Pendant hatte auch so was, wenigstens aufm Schreibtisch mit Kabel aus der Wand … und saß davor.

Ziel der ersten Etappe, Kiel  – Oslo-Kai, 750 km zur Fähre der Stena-Line. Buchung war vom Sekretariat vorbereitet und das ist unser Ziel – Ankunft 17 Uhr, das Einschiffen beginnt. Wir haben Glück und kommen ziemlich zu Anfang rein. Unser Porsche wird unter einem beladenen LKW-Auflieger geparkt, weil er grade so drunter passt. Der Benz steht am Rand. Rauf auf Deck, einchecken und Kabine finden im 3D-Labyrinth.  Viermannschlafdose, wir wollen knobeln, aber Felix nimmt die Erfahrung an, bei drei Truckern in der Kabine zu schlafen. „Ich schnarch die tot.“

Jede Menge Schweden auf dem Schiff, auf der Rückfahrt vom Wochenende in Deutschland. Zu was? Später vielleicht mal …  Noch ist Ruhe im Schiff. Alle Läden noch zu und wir haben Hunger und vor allem: Durst!

Grummeln geht durchs Schiff, das Land bewegt sich weg, die Kräne im Hafen treten ehrfurchtsvoll zurück – Fata Morgana – ? der Kahn lebt! und es geht los. Das Gerappel – so ziemlich alles auf dem Schiff ist in Bewegung, auch wenn es nur Millimeter sind – wird uns begleiten, Ehrenwort. Die Hoffnung auf Besserung lässt sich von der Gewissheit, dass es schlimmer kommt, verdrängen. Runter in die Kabine. Die klappernde Abdeckung der Klimaanlage in der Kabine lässt eine schlaflose Nacht vermuten. Außerdem zieht es wie Hechtsuppe.

Wieder aufs Parkdeck – illegal – ins Auto, mit Lassoband und Lumpen zurück und alles wird entklappert: Das Windloch in der Decke mit  Band – Streifen für Streifen zugeklebt.  Nun gibt es zwar keine frische Luft mehr, aber es ist bewohnbar.  Putzlappen zwischen Bettgestell und Wand geklemmt, zehn oder fünfzehn klemmen irgendwo und überall. Silence is golden.

Vielleicht hilft Bier. Innenkabine, der Vorhang ist fake, irgendjemand hat ein nacktes Mädchen dahinter angefangen zu malen, Kopf, Arme und Beine fehlen. Das Teppichmuster  ist mit runden Flecken aus der Speisekarte der letzten Touren  übertüncht. Spricht für Seegang – früher mal.

Wo gibt es was zum Essen? Die schwedischen Preise lassen den Hunger im Halse stecken. Außerdem gibt es zum zahlbaren Preis nur Knackbrot (Dachpappe) und was drauf oder Schaumtoast mit Grün und Käse. Bier hat auch Nährwert, aber die Preise sind noch weiter weg. Unser Spesenpolster schmilzt zusehends, aber Durst ist schlimmer als Heimweh. Also wird in die Zukunft investiert. Nach dem Dritten tut’s im Geldbeutel auch nicht mehr so weh. Hauptsache die Nerven geben Ruhe.

Das Schiff rappelt sich schlingernd durch das Kattegat nach Norden. Die Gläser zuckeln von einer Tischseite zur anderen und so erkenne ich schnell den Nutzen des um den Tisch laufenden Rahmens, der einen Zentimeter über die Tischplatte ragt. Du musst Dir nur Dein Glas merken und schäumen tut‘s auch lang, bis die Brühe tot schmeckt, aber was gezahlt ist muss rein.

Es bleibt Zeit, einiges zu erklären:

Wir sind fünf Mann als Vorhut: Drei Entwicklungsingenieure aus dem Fahrversuch, ein „Logiker“ und ein Mechaniker. Wir aus dem Fahrversuch fahren die ganzen Versuche, analysieren später mit dem „Logiker“ die Aufzeichnungen und verbessern das – heute würde man Software sagen – Reglerprogramm – „die Logik“. Einfach programmieren ?? – so weit war die Technik noch nicht. Die Elektronik war eine Kiste, ungefähr 20 Kilo schwer, und so groß wie zwei Kisten Bier nebeneinander. Drinnen etwa 20 „Doppeleuropakarten“, da sind auf einer Seite jede Menge Chips drauf mit je acht Beinen und auf der Rückseite in Verlängerung ungefähr 2 cm lange Pins. Wenn man die Beine mit Drähten richtig miteinander verbunden hat, kam am Ende ein Signal raus, das, … glaubt mir einfach mal, dass die Kiste das gesamte Reglerprogramm beherbergte, für unsere Versuche notwendig war und das wir nach Beurteilung der Messschriebe laufend verändert haben. Das ging dann so, dass man nach den Messungen das Teil von der hinteren Sitzbank gezerrt hat, ins Labor getragen, auf den Einschüben, den Karten die Drähte verändert und wieder ins Fahrzeug gewuchtet hat.  Das Ganze wird mit einem Monstrum von Messtechnik aufgezeichnet – mit einem Lichtstrahlschreiber auf lichtempfindliches Endlospapier. Na ja, so endlos war es auch nicht. 30 m und tierisch teuer. So entstehen die Messschriebe mit einem Zeitraster von 100 Millisekunden pro 2 cm. 18 Signale, Ventilsignale von der Hydraulik, die letztendlich von dem riesen Kasten auf der Rückbank angesteuert wurden, logische Signale wie Schlupfschwellen , Radverzögerungen und Geschwindigkeiten und Raddrücke. Durch dieses Wirrwarr an Linien kann der geübte Ingenieur sehen, was das ABS, die Räder und die Bremse so treibt, wenn es denn muss. Diese Messaufbauten haben wir im Benz, dem Bayer und dem Porsche. Sie wiegen rund 60 Kilo und sind selbst ein Studium an Verständnis wert. Einige Verstärker arbeiten wie der Schreiber nur mit Netzspannung von 220 Volt. Und das im Auto – diese 220 Volt machen wir uns mit einem Zweitaktgenerator im Kofferraum. Dass er Luft und Kühlung bekommt und die Abgase rausgehen, steht die Kofferraumklappe mit einer Vorrichtung etwa 10 cm auf und ein Rüssel hängt raus. Das Teil heißt „Fuzzy“ und macht einen Höllenlärm, Gestank und good Vibrations. Es gehört dazu wie das Atmen.

So, das Bier ist alle, wir sind müde und verziehen uns in unsere Kojen.

Die Nacht ist eine Mischung aus Traum, dusseln und mindestens dreimal aufstehen und Bier wegbringen. Das Zeug ist ein Nierenspüler mit Geschmack. Totsaufen geht nicht bei 1,5 %, da hast Du ne Blase am Daumen vom Hosenladenaufundzumachen.  Gedanken kommen auf, das Zeug gleich in den Kanal zu kippen.

Das Bullern der Maschinen wiegt uns schließlich in unruhigen Schlaf –  wir wachen auf, Totenstille auf dem Schiff. Nur nebenan schnarcht es um den Pokal. Die Maschinen stehen! Neugier treibt uns aufs Deck. Felix bleibt verschollen, er muss wohl schnarchen oder ist bewusstlos.

Der Kahn steckt im Eis fest, morgens um 5. Na Klasse! Auf der Brücke wird gerufen und rumgerannt. Zwei telefonieren und schlagen mit den Armen Muster in die Luft. Ein schönes Schauspiel da oben. Maschinen laufen wieder an und ein Zittern geht durch das Schiff. Aha. Rückwärtsgang – alles zurück. Schöne Wintererprobung ade. Morgen sind wir wieder in Kiel.

Nach einer halben Stunde zittert das Schiff den letzten Staub aus den Ritzen, es rollt von rechts nach links, logisch, wieder zurück und Türen und Lampen winken uns zu, vereinzelte Gäste versuchen schrittweise voranzukommen. Seemannsgang eben, deswegen sind die Gänge auch nicht so breit.

Kronprinzessan Henriette oder so fährt wieder Richtung Göteborg, aber diesmal mit mehr Geschwindigkeit. Der Ingenieur folgert: Eisbrecher sind zur Reparatur, der Fahrplan muss eingehalten werden, wir knacken das Eis selbst. Titanic im Kattegat. Ich seh schon die Zeitungsanzeigen, und wir wieder dabei. Und so war’s dann auch. Eisknacken pur, mit Logenplatz. Wir schauen begeistert nach unten an der Bordwand entlang und sehen, wie der Bug Eisschollen generiert. Die nächtliche Temperatur meldet sich durch das Hemd. Vorgeschmack auf Kaltstart. Um sechs liegen wir wieder im Bett. Die gegen die Bordwand schlagenden Eisschollen bringen Abwechslung in das monotone Grummeln der Motoren. Das immer wiederkehrende Schütteln läuft schneller durchs Schiff. Das Schnarchen ist zweite Wahl im Soundgebräu.

© Jürgen Zechmann