Streng geheim! Kapitel 18 – „Ich komm nicht auf Geschwindigkeit“

ASR heißt Antriebsschlupfregler. Das ist eine Hilfe gegen durchdrehende Antriebsräder.
Irgendjemand ist in einer traumlosen Nacht eingefallen, dass wir mit unserer Hydraulik Druck erzeugen können und mit ein paar zusätzlichen Ventilen mit diesem Druck das durchdrehende Rad abbremsen und somit das Fahrzeug besser oder überhaupt beschleunigen können. Meist ergibt sich dieser Zustand, wenn eine Straßenseite glatt und die Mitte griffig, also trocken ist.
Man braucht da ja nur ein paar Werte im Regler um zu drehen und schon müsste es gehen. Jah, wie sich klein Fritzchen die Welt vorstellt. Wir haben schon einiges ändern müssen, um das zu erreichen, was man einen Anfang nennt.
Das Grundprinzip war zunächst einfach. Wenn wir ( natürlich die Elektronik … ) erkennen, dass ein Rad durchdreht, dann bremsen wir es soweit ab, bis die unbändige Kraft des Motors zu dem Rad, das auf Asphalt der Dinge harrt, geleitet wird und es ermutigt, das Fahrzeug zu bewegen. Die ersten Versuche schienen verbesserungswürdig, weil das Rad zwar abgebremst wurde, aber es dennoch nicht so richtig voran ging. Der legendäre Funkspruch wurde geboren: „Ich komm nicht auf Geschwindigkeit“. … Wir ändern stets die Änderungen … und so ergab eine Woche schwerste Entwicklungsarbeit einen doch leicht erfolgversprechenden Ansatz, bis ein unsensibler Fahrer das Gaspedal auf das Bodenblech schickte und der Motor zeigte, was Leistung ist. Nun kam uns doch wieder ein Kunde dazwischen, dem das jugendliche Ergebnis sofort präsentiert werden musste. Also gleich in die Vollen, weg von der ebenen Straße, hin zum Berg – Galtispuoda. Etwa zwanzig Kilometer.

Und wieder Zeit zum Erklären: Der Galtis, ist die höchste Erhebung in der Gegend mit seinen 300 Metern über der Landschaft und es gibt dort ein Skigebiet mit Lift und etwas höher eine Aussichtsplattform, die man über eine Mischung aus Kurven und Steigungen erreichen kann. Wie überall in dieser Region ist auch diese Straße schneegeräumt, heißt der lose Schnee ist zur Seite geschoben und es schauen Asphaltflecken durch. ASR-Straße
Wir sind da und die Versuche mit Kunden zusammen fangen an. Die ersten fahren vorsichtig hoch und und kommen auch wieder runter. Die Euphorie wächst und so will jeder nochmal und nochmal. Es knackt bedenklich aus den Felgen der Hinterräder. Aber man wärmt sich nur die Hände dran und diskutiert über weitere Features. Wir beenden das Spiel und beschließen zurück zu fahren. Aber unser Versuchsfahrzeug weigert sich, will hier bleiben, macht keinen Mucks, vorne grummeln 200 Pferde und hinten sagt die Bremse „NEIN“.
Nun, es leuchtet bedenklich rot aus der Felge und die Luft flimmert. Es riecht nach Bremse. Es riecht streng nach Bremse, sogar eventuell nach Bremse in Vergangenheit. Wir beschließen, die Bremse abkühlen zu lassen und beschleunigen das mit Schnee, der zunächst sofort verdampft. Ingenieur und Schrauber bleiben zurück und warten ab. Wir würden heute noch warten, die Kiste weigert sich zu fahren. Also abschleppen. Geht auch nicht. Störrischer Esel.
Felix macht seine Lieblingsarbeit: Zum Hotel zurück, schweres Werkzeug laden, zurück zum Berg, Rad abbauen in der Kälte unter freiem Himmel die Sonne hat sich verzogen, sie möchte nicht zusehen müssen. Bei dem Versuch, das Rad abbauen zu wollen, stellen wir fest, dass sich die Bremssättel mit den Bremsscheiben verbrüdert haben, und zwar beidseitig. Felix‘ üblicher Kommentar über hirnlose Inschinöre verbessert die Lage zwar nicht, trifft auch die Falschen, aber er hat Recht. Was vorne als Sprit rein läuft, muss hinten bei der Bremse als Wärme raus kommen. Robert Mayer hat das schon mal erklärt. Der Fachmann redet beim vorliegenden Fall von Reibschweißung.

Wir beginnen ab sofort den Motor mit in das Geschehen einzubinden und stellen fest, dass es sinnvoll ist, vorne gar nicht so viel Leistung zu erzeugen, die man hinten nicht braucht.

„Is schon fertig?“

Und gleich hinten dran: Im nächsten Winter – jährlich grüßt das ASR …. Wir haben lange erprobt, haben Einfluss auf allerlei Motorfunktionen und müssen das wieder mal Kunden vorstellen. Wieder sind wir alle am Talparkplatz des Galtis versammelt und stellen fest, dass grade heute die Traktion unseres „Sterns“ schwer zu wünschen übrig lässt. Die Kiste ist hinten zu leicht und Ballast zu besorgen, ist keine Zeit.
Kurz mal zwischendurch: Wir haben mittlerweile einen weiteren Schrauber mitgebracht, der sich guter Leibesfülle erfreut und beim „Scheiß“ immer mit vorne dran ist. Nennen wir ihn Harry. Gemütlichkeit und trockener Humor wie Entschlussfreudigkeit sind ihm zu eigen.
Der werte Leser riecht nun schon, was sich hier anbahnt. Logisch hat sich Harry angeboten, sich im Kofferraum zu verschanzen und so dem Stern mit einigem Ballast (gut dreistellig …) zu Traktion zu verhelfen. Fuzzy raus, Harry rein, Dauerbeleuchtung wegen der Kellerangst und eine alte Zeitung. Ein schneller Versuch verläuft höchst erfreulich, die Kunden können kommen, was auch grade geschieht. Der Kofferraum ist zu und drinnen liest einer Zeitung oder schläft.
Die Vorstellung ist auch aufgrund der letztjährigen Erfahrung recht kurz und man steht noch zu einer finalen Diskussion auf dem Parkplatz zusammen, als sich ein leises Klopfen aus dem Kofferraum vernehmen lässt. Der am Fahrzeugheck lehnende Sternscheffscheffscheff öffnet reflexartig die Klappe und heraus kommt die Frage : „Is schon fertig?“

Nein, kein Barharakiri – verständnisvolles, erlösendes Gelächter mit der Entschuldigung, dass man sich sowieso gewundert hat, dass dieses Fahrzeug so eine ungewohnte Traktion hat. Sie werden die Möglichkeit unter Serienaspekten erörtern. Aber an der Bar waren wir dann doch.

Folk Race 1984

Juergen_bmwMittlerweile haben wir auch innigen Kontakt zu Kunden mit dem Blitz im Logo.
An der Bar ergab sich ein Vergleich, wer Hydrauliken schneller wechseln könne. 14 Minuten, ohne Entlüften, stehen an. Da ich durch die Schräubchenwechselei selbst einige Handgriffe nahezu automatisiert habe, stelle ich mich dem Wettbewerb und biete 12 Minuten. Wir durften das aufgrund scheffischer Intervention nicht sofort erledigen, sondern es wurde ein Treffen am nächsten Nachmittag vereinbart.

Es geht unentschieden aus, Verbrüderung folgt, wir beschließen, das Thema ruhen zu lassen.

Aber wir kommen ins Gespräch, welche Hobbys wir haben und so ergibt sich ein Abenteuer der besonderen Art.

Es ist Ende März, Lapplandsommer, minus zehn, Sonne pur, die ersten T-Shirts tauchen auf.
Nordschweden haben urige Freizeitgestaltung. Entweder man brät mit einem Snöscooter übers Eis, in die Berge oder fährt einfach nur zu Oma in die nächste Siedlung. ODER man entfernt aus einem schrottreifen, aber fahrbereiten Auto alles, was nicht zum Fahren notwendig ist und legt sich am Wochenende mit dem Nachbarn an, der auch so ein Teil neben der Garage unterm Schnee vergraben hat. Es rotten sich Freunde und Bekannte dazu, es schwappt über Grenzen und es gibt schließlich eine organisierte Veranstaltung: Folk Race.
Auf „unserem“ See, gleich neben der Teststrecke entsteht in ein paar Tagen vor dem Event ein Oval, rund tausend Meter lang und etwa 20 Meter breit. Am Anfang einer Geraden verläuft ein dicker roter Strich als Start- und Ziellinie, ein paar Schritte daneben ist das „Fahrerlager“. Flach gedrückter Schnee, so groß wie ein Fußballfeld. Geordnetes Chaos. Dort hat sich die Creme der Schrauber und Improvisateure aus der Umgebung, die schon mal auch bis Norwegen , sogar bis tief in den Süden Schwedens reichen kann, versammelt. Rund dreißig Fahrzeuge stehen zum Vergleich an. Familien inclusive, die Jungen müssen den Geist schnuppern. Es riecht nach Benzin. Öl und Schweiß. Dicke Startnummern auf die Türen der Boliden gepinselt, auf weitere Kampfbemalung hat man des Schraubens willen verzichtet. Hie und da röööäart es laut auf, um schnell wieder zu verstummen. Kampfgebrüll, Gegner einschüchtern oder nur „ob er noch läuft?“
Es kommt zu Startaufstellungen, die Regeln sind einfach.
Man startet im Viererpack. Vier Runden, wer raus fliegt ist draußen, die beiden, die als erstes die rote Linie überfahren kommen weiter. Schaulaufen der Drifts. Wer nicht driftet, ist out. Die Reifen sind mit Zentimeter langen Spikes aufgemöbelt, alles Glas ist raus, die Front“scheibe“ ist ein Hasenstallgitter, die Türen sind zugeklebt, -schweißt, -schraubt. Alles, was sich unerlaubt vom Fahrzeug entfernen könnte, ist entfernt. Ein infernalisches Schauspiel. Start auf Start rattert ohne Schnörkel durch. Die nächsten stehen mit laufenden Motoren auf einer Zufahrt zum Start Schlange. Fahrzeuge schrammen sich gegenseitig aus dem Rennen, hechten preisverdächtig über die Schneewallbegrenzung ins Aus. Schaufellader holen die Flüchtigen ohne viel Auslesens zurück. Seil durch die offenen Fenster, um die Schaufel, Ruck, zurück auf der Piste. Sekundenarbeit. In der Wartereihe steigt Dampf auf. Hektik macht sich breit, einer verschwindet im nahe gelegenen Wald, schneidet sich einen Ast ab und rennt schnitzend zum Fahrzeug zurück, verschwindet unter der Motorhaube und wirft den Rest des Astes in den Schnee, greift erst nach einem hingehaltenen Hammer, dann einer Wasserflasche, die auch bald leer den Weg in den Schnee findet und klappt die Haube wieder zu und wischt sich die Finger an den Schenkeln ab. Der Dampf steht noch in der Luft über dem Fahrzeug. Low-Cost Abdichtung. Abends, gegen sechs ist das ganze Spektakel zu Ende und unsere kleine Schar der „Tester“ ziehen durchgefroren ins Hotel zurück. „Harry Schnellschrauber vom Blitz hat sich schlau gemacht. „Ich hab das Datum vom nächsten Jahr und ne Anmeldung.“ o .. ooh

Zeitsprung: Ein Jahr weiter, zwei Wochen vor dem Termin. Wir treffen uns wieder, unsere Erprobungszeit dem Spektakel adaptiert und gemanaged, dass keine Scheffs da sind. Alles grün, mit Kampfstrategie. Reifen: Kein Problem, hab ich besorgt. – Sperrdifferenzial? – Schweißnaht! – HÄ? und wieder öffnen? – Flex!. Wir haben einen Ascona mit Zweilitermaschine, wenn wir den aufmachen, hat der mindestens 180 PS. Achslast ? (Fronttriebler!) – Wasserflaschen unter der Stoßstangen und dem Restraum beim Motor! Alles, was man nicht braucht, raus, Messaufbau, Fuzzy, Sitze, Rückbank, Ersatzrad. – Und wenn wir ihn verschrotten? – Gibt‘s nicht, ich hab noch keinen verschrottet, außerdem fahren wir vorneweg.

Es wäre sooo schön gewesen. Bei der Anmeldung zwei Wochen davor gibt‘s ein technisches Hinweisblatt. Alles, was Glas ist, muss raus sein. Die Frontscheibe ist eingeklebt. Wir schauen wieder nur zu, haben aber einige Rundenzeiten gestoppt.
Am Montag haben wir mit den Spikereifen ein paar Runden gedreht. Es hätte gut ausgehen können.
Durchatmen. Frustbier, Frustzigarette.

Was wir aber erst ein Jahr später erfuhren: Das Siegerfahrzeug MUSS für 5000 Kronen verkauft werden, damit keiner einen „Durchmarsch“ macht, sich eine Karre mit viel Geld und Aufwand hintrimmt und den Sinn der Veranstaltung unterläuft. So macht jeder nur das Notwendigste an seinem Fahrzeug. Wie die Holzkeilabdichtung.