Streng geheim! Kapitel 7: Seegang im Silverhatten

Zum Abendessen füllt sich der Saal mit Schweden. Die Band baut auf, erste Kontakte entstehen. Jörgen, der Drummer, unterhält sich mit uns, er ist auch Reporter einer einheimischen Zeitung. Kontakte sind überlebensnotwendig. Wir sitzen nahe dem Eingang, das Schauspiel beginnt. Wir haben zu Ende gegessen, man hängt am Bier, die Uhr zeigt gut nach zehn. Illustre Gäste erscheinen, festlich gewandet, werden zu Tischen geführt und Kellnerinnen nehmen Bestellungen auf. Die Band spielt „Killing me softly“ und stolpert über den Taktwechsel. Es wird zur Legende. Sie haben es auch nach fünf Jahren nicht gepackt.

Zunächst wundert es uns nicht, dass immer ein Krug mit Wasser auf den Tisch gestellt wird, aus dem auch kräftig Wasser verteilt wird, aber das Glas Bier wird fast nicht angerührt. Das Wasser muss auch wieder mal raus und so zieht es laufend die Leute nach draußen. In der Garderobe ist immer Tumult, jah, da geht es ja auch zur Toilette, nur – die Tür steht meist auf und keiner geht rein. Ein älterer Herr am Nebentisch, Typ Beamter, nimmt sein Wasserglas vor den Bauch, knapp unter die Tischkante. Die freie Hand füllt aus einem Fläschchen, das aus der Innentasche erscheint, das Wasser auf.

Um elf sind alle so dicht, dass Seegang in allen Richtungen normal wird.Wir lernen: Wasser ist die Grundlage, die mit den Fläschcheninhalt aufgepeppt wird. Wer nicht peppt, erledigt das in der Garderobe direkt. Jeder hat seinen „Hembrand“ mit und zwar – das erfahren wir später so nebenbei – so ziemlich pur. 95 %. Aus Tomaten oder Kartoffeln oder was halt gärt.Und wir waren so erstaunt, dass man mit Wasser betrunken werden kann, nun klar… mit Wasser.

Seegang: Ein älterer Herr steht formatfüllend in der Türe, hat beide Hände in den Hosentaschen vergraben und den Hosenstall sperrangelweit offen – Grün mit hellblauen Streifen. Wahrscheinlich zu Weihnachten von Mutti.Er wankt zur Tanzfläche, die ein Sumpf aus Bewegung und Kichern ist. Schweden tanzen den Oberkörper eng, mit zunehmender Tiefe nimmt auch der Abstand der Tanzenden zueinander ab. Sieht putzig aus, aber nur so ist ein stabiler  Stand möglich.

Eine Schönheit in der niederen Altersklasse nimmt den Platz an der Türe ein. Hembrand alleine scheint den Gesichtsausdruck und die Klammerung mit dem Türrahmen nicht geschafft zu haben, dazu gehört mehr. Ein etwa gleichaltriger Jüngling schleicht sich grinsend von hinten an, umarmt sie und – just in time – sie kippt nach hinten, der Typ fängt sie auf und rettet sich mit ihr auf dem Schoss in den nahe der Türe stehenden Sessel, der mit lautem Knacken die Überlastung bekundet. So oder so ähnlich geht es bis Schlag eins. Die Musik hört auf, das Licht geht an, die Party aus. Viele drängen sich nach draußen ins Foyer, also in den Raum der Rezeption und diskutieren lautstark weiter. Es wird geraucht, dass die Luft zum Schneiden ist. Wir setzen uns auch raus, da gibt es mehr zu sehen, als drinnen. Die  Bedienungen und die Jungs von der Band erscheinen und fangen an, mit uns zu reden. Wir sind die einzigen Nüchternen hier. Um der Sache aus dem Weg zu gehen, schlagen wir vor, die Afterparty bei uns im Labor fortzusetzen.

Nun muss man wieder wissen: Alkohol jeglicher Form ist zu dieser Zeit in Schweden teuer. Eine Flasche Johnny Walker für 170 DM ist schon ein Wort. So – das haben wir schon zu Hause gewusst – haben wir auf dem Schiff was gekauft. Und das kommt jetzt zum Einsatz. Unten in unserem Möbellager erzählt jeder was aus seinem Leben und so erreichen wir – nicht annähernd – den Zustand der Schweden. So gegen vier verkriecht sich jeder in sein Bett. Die Schweden kommen schon irgendwie heim.

©Jürgen Zechmann